MOVENS-Netzwerk: Konzept
Themenstellung
Angesichts der in den letzten zwanzig Jahren eingetretenen politischen Ereignisse und Veränderungen in Deutschland und Europa, verstärkt durch eine zunehmende Globalisierung fast aller Lebensbereiche, kann man den Eindruck gewinnen, dass Grenzen scheinbar mehr und mehr bedeutungslos geworden sind. Aber andererseits haben Differenzen zwischen den nationalen Kulturen möglicherweise nicht an Bedeutung verloren, sondern werden möglicherweise sogar mit neuen Bedeutungen besetzt. In jedem Fall lösten die angesprochenen Veränderungen ein verstärktes Nachdenken über «Grenzen» aus, denn sie markieren diejenigen Linien und Räume, an denen die eigene Identität aufzuhören scheint, die der Anderen beginnt; «Grenzen» sind unverzichtbar zur Selbstbestimmung und zur Fremdwahrnehmung. «Grenzen» trennen und – so paradox dies zunächst auch scheint – verbinden zugleich.
Ästhetische Phänomene – Literatur, Musik, Malerei, Theater, Tanz – sind einerseits in ihren traditionellen Ausprägungen immer auch von nationalen Herkunftskulturen geprägt, sind aber andererseits gleichsam prädestiniert als Medien der Grenzüberschreitung. Auf unterschiedlichste Weise können literarische Texte Grenzen, Fremdheit und Eigenwahrnehmung, Alterität und Transitorik reflektieren und thematisieren: Der, die oder das Fremde, der, die oder das Andere ist Gegenstand der Literatur seit Jahrhunderten; mit jeder Thematisierung des Fremden praktiziert Literatur Grenzziehung und Grenzüberschreitung zugleich.
Literatur ist aber selber begrenztes Gebiet: Innerhalb des Mediums grenzen sich Gattungen und Stile voneinander ab; nach außen grenzt die Literatur sich, mehr oder weniger scharf, von den anderen kulturellen Medien ab: Theater, Musik, Fotografie, Film und neueste technische Medien. Literatur steht, schon seit den großen Bildbeschreibungstheorien in antiker Literatur und seit Horazens Überlegungen zur tendenziellen Vergleichbarkeit von Malerei und Dichtung, im Kontakt, zuweilen in Konkurrenz zu den anderen künstlerischen Medien. – Gleichermaßen überschreitet Literatur diese inneren wie äußeren Grenzen stets: So integriert der Roman von Klassizismus und Frühromantik auch lyrische Poesie, das Drama kann zum Epischen Theater werden, insbesondere Lyrik, und neueste technische Medien gehen produktive Allianzen ein.
Forschung
Grenzen sind geographisch-topologische, kulturelle und ästhetische Phänomene; Literatur ist ein unverzichtbares Medium ihrer Reflexion. Auf der Basis schon länger bestehender DAAD-, ERASMUS- oder anderer Kontakte haben sich in MOVENS Germanistinnen und Germanisten aus Schweden, Slowenien, England, Irland und Deutschland verbunden, um innerhalb dieses Netzwerks den Transfer gemeinsamer Forschung zu ermöglichen bzw. zu verbessern. Damit ist die Grenzüberschreitung, Entgrenzung nicht nur Gegenstand des Forschungsverbundes, sondern Kennzeichen wissenschaftlicher Praxis: Im Netzwerk wird Grenzüberschreitung europaweit verwirklicht!
Nachwuchsföderung und Lehre: Master- und Graduiertenkolleg
Neben dem Forschungstransfer steht die Einbindung des Netzwerks in die Master- und Graduierten-Ausbildung an den beteiligten Universitäten im Zentrum: Für die Masterstudierenden und die Graduierten an Universitäten außerhalb Deutschlands ist die Anbindung an die deutsche Germanistik ebenso essentiell wie für deutsche Germanistikstudierende und Promovenden die europäische Ausrichtung: Die Herstellung von Wissen ist, auch in der Germanistik, kein auf eine «Nation» beschränkter Prozess; die Berufsoptionen der Masterstudierenden und Graduierten richten sich sinnvollerweise auf den europäischen Arbeitsmarkt aus.
Studentische Mobilität zu steigern, ist eines der vorrangigen Ziele von MOVENS: Die jährlich geplanten Tagungen werden als internationale Masterkollegs und Promovendenworkshops durchgeführt, die neben der Forschungsarbeit an den Teilprojekten der einzelnen Partnerinnen und Partner die Problematisierung methodischer und theoretischer Aspekte der übergreifenden Thematik zum Gegenstand haben. In sogenannten «Master-Classes» sollen sich die Graduierten mit ihrem Projekt einem «Fremdbetreuer» vorstellen, die Masterstudierenden sollen am Forschungsprozess der beteiligten Dozentinnen und Dozenten sowie der Graduierten teilhaben.